Warwer Sand
|Bis Juni 2014 habe ich immer einen kleinen Kommentar zu der aktuellen Folge des Radiotatorts geschrieben. Obwohl ich die Serie weiterhin regelmäßig verfolgte, habe ich aus Zeitgründen auf die Kommentare verzichtet. Mit der März-Folge 2016 nehme ich diese Tradition nun wieder auf.
Kommissarin Evernich ist in Bremen gerade dabei ein Strafverfahren vorzubereiten, die Zeit drängt. Just in diesem Moment erhält sie einen Anruf ihrer Mutter aus dem Naherholungsgebiet Warner Sand: Sie sieht wie ein Mann ein verschleppt. Evernich ist alarmiert, bundesweit verschwinden schließlich jährlich dutzende Kinder. Doch die Ermittlungen gestalten sich als schwierig, denn bald darauf sitzt Evernichs Mutter im Auto des Tatverdächtigen und diesem gelingt es geschickt, die alte Dame auch als alte, schrullige Dame abzustempeln.
Der Bremer Radiotatort hat vor allem durch die Spannungen zwischen Kommissarin Evernich und Staatsanwalt Groningen Potential. Seit einigen Jahren drehen sich die Folgen jedoch zu einem großen Teil um Evernichs Mutter. Sie soll als eine Art moderne Miss Marple (die immer wieder auch direkt zitiert wird) stilisiert werden. Das gelingt aber in allen Folgen nur bedingt, da die alte Dame zwar immer das richtige „Gefühl“ hat, aber nie selbst maßgeblich zur Auflösung des Falles beiträgt. „Warwer Sand“ ist der vielleicht nervigste Auftritt von Evernichs Mutter. Sie hat hier noch weniger zu tun als in vorherigen Fällen und beschränkt sich in erster Linie darauf herumzufahren, was über den Verlauf der einstündigen Folge zwischen eintönig und nervend rangiert.
Der Fall selbst wiederum ist überraschend vielschichtig und emotional. Stück für Stück findet Evernich Informationsstücke über die zerrüttete Familienstruktur, in der das (vermeintlich verschleppte) Kind aufgewachsen ist. Der Tatverdächtige stellt sich als einstiger Sozialarbeiter heraus, der nun mit einem seiner ehemaligen Fälle – der einst drogensüchtigen Mutter der Tochter – zusammenlebt. Gleichzeitig ist er unglaublich eifersüchtig auf den Ex seiner neuen Partnerin und Vater seiner Stieftochter. Aus dieser Konstellation konstruieren die Autoren einen tragischen Fall, der den Zuhörer durchaus zu bewegen weiß und mit einem halb-offenen Ende zudem etwas rätselnd zurück lässt.
Letztlich bleibt der Fall aber eine Art Schnitzeljagd für Evernich, die die Aussagen des Sozialarbeiters und seiner Partnerin miteinander in Einklang bringen muss. Wirkliche Spannung kommt in diesem aktionsarmen Fall nicht auf, stattdessen setzt die Handlung ganz auf die Betroffenheit der Zuhörer angesichts des Familienschicksals. Zurück bleibt daher vor allem der Eindruck, dass hier eine Art Miss Marple-Erzählung ohne Miss Marple anvisiert wurde. Das ist trotz der bewegenden Fallkonstruktion letztlich durchschnittliche Krimikost.