Pas pleurer (von Lydia Salvayre)
|Die Mutter der Erzählerin, Montse, leidet an Alzheimer. Im selben Maße wie ihre Erinnerungen schwinden, wächst die Bedeutung einer Episode aus dem spanischen Bürgerkrieg in ihrer Vorstellung. Nie wieder fühlte sich Montse so lebendig wie in diesen Tagen, in denen sie für das erste Mal in ihrem Leben die Enge ihres Dorfes hinter sich lässt. Doch natürlich sind diese leichten Tagen eng verbunden mit den Tragödien des Krieges, der auch an Montses Familie nicht vorbei geht. Als zweite Perspektive wird die des katholischen Autors Bernanos aufgegriffen, der sich angesichts der grausamen Taten in Francos Reihen und der Unterstützung der katholischen Kirche für diese Ausschreitungen von der Kirche abzuwenden beginnt.
Der Roman präsentiert eine originelle Perspektive. Die Handlung ist aus der Sicht Montses Tochter erzählt. Der Großteil des Textes handelt von Montses Erlebnissen, die sozusagen als Erlebnisbericht an die Tochter wiedergegeben werden. Die Passagen über Bernanos fußen auf der Beschäftigung Montses Tochter mit dem Spanischen Bürgerkrieg und seinen Auswirkungen. Dabei geht die Erzählung trotzdem über das hinaus, was eine Recherche über Bernanos oder die Lektüre seiner Werke produzieren kann. Denn auch seine Gefühle, vor allem sein Abscheu vor den Ereignissen, sind direkt beschrieben. Die Perspektivwahl ist vor allem dadurch überzeugend, dass dem Leser zwei diametral unterschiedliche Blickwinkel auf den Spanischen Bürgerkrieg geboten werden. Bernanos erlebt den Schrecken direkt, während Montse in dem Grauen die befreiendsten Erfahrungen ihres Lebens sammeln kann.
Salvayre lässt durchgehend Figuren mit klaren Positionen auftreten. Bis auf Montse verschwinden fast alle hinter ihrer politischen Zugehörigkeit. Ihr anarchistischer Bruder, ihr sozialistischer Vater, ihr kommunistischer Partner sowie dessen monarchistischer Vater, sie alle treten hinter ihrer Ideologie zurück. Dadurch zeichnet Salvayre ein Bild der gespaltenen Gesellschaft, das auf einer Hochzeitsfeier sogar direkt benannt wird. Vor diesem Hintergrund erzählt sie eine Geschichte, in der Montse zum ersten Mal liebt und aufgrund einer außerehelichen Schwangerschaft Diego, den kommunistischen Konkurrenten ihres anarchistischen Bruders José, heiraten muss. Die vielen (negativen) Emotionen, die dies auslöst, beschreibt Salvayre relativ ruhig und legt dadurch erst recht die Grausamkeiten des Krieges, der Dorfgemeinschaften entzweit und Raum dafür bietet, alte Rechnungen zu begleichen offen.
Denn hinter den klaren Figuren wartet natürlich eine vielschichtige Situation. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfen so viele verschiedene Fraktionen auf der linken Seite gegeneinander, dass dies letztlich zur Kriegsniederlage führte. Diese explosive Konstellation nutzt Salvayre für einen Showdown zwischen Diego und José und der beiden mit ihnen verbundenen Ideologien. Verbunden mit einer deutlichen Kritik traditioneller Familienbilder in Spanien (inklusive der dazu gehörigen häuslichen Gewalt) sowie eine noch explizitere Kritik an der Kirche und ihrer Scheinheiligkeit (und hier vor allem der Duldung von Massakern an Franco Gegnern) wird „Pas pleurer“ zu einem politischen Roman. Im Mittelpunkt steht im Finale die Niederlage des Anarchismus und der Rachedrang der Kommunisten, denen erst eine völlige Auslöschung ihrer anarchistischen Konkurrenten genug ist.
Es sind die Idealisten, die im Krieg verlieren, den sie zunächst selbst begrüßten. Und auch Montses weiteres Leben im französischen Exil, das so ärmlich ist wie ihre Kindheit in Spanien, scheint wenig mit dem Idealismus des Sommers 1936 zu haben. Dass sie im Alter alles vergisst, bis auf ihren kurzen Ausbruch aus gesellschaftlichen Strukturen und ihrem einzigen Moment der freien Liebe legt den Fokus auf das, was in Spanien hätte geschaffen werden können und verdeutlicht damit noch stärker die Tragödie des Scheiterns dieses Idealismus.
Dt. Titel: „Weine nicht“ (Blessing Verlag)