Gedankensplitter 12/2016
|Lehren aus den Landtagswahlen: Im Anschluss der Landtagswahlen erlebt die Republik Verzagtheit und Großkotzigkeit. Die Union, so scheint es, will die Sache größtenteils so schnell wie möglich unter den Tisch kehren. Die einstigen lauten Stimmen sind (u.a. mit dem Scheitern Julia Klöckners) verstimmt. Selbst Horst Seehofer lässt nur verlaufen, dass eine falsche Flüchtlingspolitik Schuld an den Ergebnissen sei, er sendet aber keine weiteren Störsignale. Demgegenüber stehen ein gescheiterter CDU-Kandidat in Baden-Württemberg und ein SPD-Chef, der den Kampf um die demokratische Mitte mit aller Entschlossenheit aufnehmen möchte. Das ist gut, aber in der Rhetorik brachialisch. Um aber in dem Bild zu bleiben: Einen Kampf kann man nur mit Waffen austragen. In der Politik sind Ideen, Konzepte und Glaubwürdigkeit diese Waffen. Angesichts des vorhersehbaren Wahlausganges hätte man diese Waffen bereits besorgen müssen. Sie wurden von dem SPD-Chef bis heute aber nicht präsentiert. Auf diese Weise kann man den Kampf um die demokratische Mitte zwar aufnehmen, man gibt aber gleichzeitig die demokratischen Ränder auf und verliert damit vermutlich langfristig auch die demokratische Mitte. Das wäre dann weder eine gewonnene Schlacht noch ein gewonnener Krieg.
Groß oder spannend: Nach den Landtagswahlen in den Bundesländern zeichnen sich zudem überall große Koalitionen ab. Das ist fatal. Denn in Sachsen-Anhalt ist diese angesichts der schwachen Leistung von CDU und SPD nicht zu verhindern, in den anderen Bundesländern hingegen schon. In Baden-Württemberg weigert sich die SPD (Wahlergebnis ungefähr halbiert), mit der CDU (ebenfalls um über 10 Punkte abgesackt) zu koalieren. Das ist richtig, die beiden größten Wahlverlierer sollten sich nicht gegen den Wählerwillen verschwören. Eine große Koalition könnte durch die FDP verhindert werden, wie in Rheinland-Pfalz sperrt sie sich jedoch, da Christian Lindner um das Profil der Bundes-FDP bangt. Dabei böten Grün-rot-gelbe oder Rot-gelb-grüne Koalitionen die Angebotspalette der FDP zu verbreitern und dem Wähler zu beweisen, dass die FDP egal in welche Konstellation liberale Werte durchsetzen können. Den Grünen ist es schließlich auch gelungen, ihrem Klientel weiß zu machen, sie könnten in jeder Konstellation grüne Werte durchsetzen. Die FDP verpasst hier aus machttaktischen Gründen eine große Chance und zwingt zwei Bundesländer in gefährliche große Koalitionen. Damit verhindert sie, dass die Landespolitik wieder eine Polarisierung zwischen Ideen anstatt eine Polarisierung zwischen Populisten und Realpolitikern erarbeiten kann.
Sozialer Brexit?: Ein Brexit ist in der vergangenen Woche noch einmal wahrscheinlicher geworden. Premier Cameron, der für einen Verbleibt Großbritanniens in der EU wirbt, musste sein Kabinett umbilden. Sein Sozialminister hat dieses nach der Veröffentlichung von Kürzungen am Sozialbudget verlassen. Er wirft Cameron vor, eine Politik gegen die Ärmsten der Gesellschaft zu betreiben und von dem eingesparten Geld die Zustimmung der Mittelklasse für die EU zu erkaufen. Bisher standen vor allem Nationalisten und Rechte Politiker im Mittelpunkt der Brexit-Kampagne, nun hebt die Kampagne immer mehr ihre „Linke“-Seite hervor. Angesichts der brutalen Sparpolitik, die die britischen Konservativen seit 2010 führen, ist dies ein cleverer Schachzug. Er macht es vor allem der sozialdemokratischen Labour-Partei schwer, Seite an Seite mit dem verhassten Sparkommissar Cameron für einen Verbleibt in der EU zu werben. Das könnte, wie schon das gemeinsame Werben um den Verbleib Schottlands im Königreich, desaströse Spätfolgen für die Labour-Partei mit sich bringen. Wie in Deutschland ist es eine Gefahr, wenn Konfliktlinien nicht mehr zwischen ökonomisch rechts-links und gesellschaftlich rechts-links verlaufen, sondern entlang der Dimension pro- bzw. kontra-EU. Angesichts der Vorwürfe des Sozialministers Smith wird es für die Labour-Partei schwierig, überzeugend mit den Konservativen für einen Verbleib in der EU zu werben. Der einzige Ausweg scheint derzeit ein politische Geniestreich der Labour-Partei: Gelänge es ihr, die internen Streitigkeiten der Konservativen auszunutzen und sich selbst als die alleinige pro-europäische, pro-Sozialrechte (de Konservativen stören sich nämlich in erster Linie an der EU-Sozialcharta) und gleichzeitig pro-Freihandselpartei darzustellen, könnte sie das Thema für sich besetzen. Doch dazu bedürfte es einer starken Einigkeit in der Partei, die derzeit nicht gegeben ist: Erste Vertreter haben sich bereits der Brexit-Kampagne angeschlossen.