Gedankensplitter 05/2016
|Asylpaket (I) – Thema verfehlt: Die Bundesregierung hat das zweite Asylpaket durchgewunken. Das Paket enthält eine Reihe weiterer Grausamkeiten, zum Beispiel eine Ausweitung der Sicheren Herkunftsländer sowie die Einschränkung des Familiennachzugs (ein Thema, das auf katholischen Demonstrationen gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die in der Regel unter dem Thema „Familienschutz“ laufen, übrigens nie erwähnt wird). Die wahre Katastrophe ist aber, dass das Paket keine Antwort auf das stetige Erstarken der AfD bietet. Wenigstens die zuständigen Politiker doch daran glauben, dass „ihr“ Paket eine gewisse Lösungskraft bietet. Wenn man sich aber, die in den Medien verbreiteteten Politiker-Kommentare zu dem Paket durchliest erfährt man nur, dass die Zahl der Flüchtlinge dadurch gesenkt werde. Das ist schön und gut: Den meisten Bürgern drängt sich aber die Frage auf, wie man denn mit den Flüchtlingen im Land umgehen möchte. Hier bietet die Koalition ein erbärmliches Bild: In der Regel konzentrieren sich die christdemokratischen Politiker darauf, von einer Integrationspflicht zu palavern für deren Erfüllung es nicht einmal die notwendigen Angebote gibt. Wie Integration zu funktionieren hat, wie die Rahmenbedingungen dafür aussehen müssen und was die Verpflichtungen für die Mehrheitsgesellschaft dabei sind, darüber scheinen die regierenden Parteien nicht zu diskutieren. Dabei sind das die Fragen, die man sich angesichts der enormen Herausforderungen stellt.
Asylpaket (II) – Wer schafft das?: In diesem Sommer hat Angela Merkel vielleicht zum ersten Mal in ihrer Amtszeit eine nicht 100% populäre Linie gewählt und erfolgreich gegen Widerstände verteidigt. Dass sie das in weiten Teilen bis zum heutigen Tag tut, verdient großen Respekt; ihr Satz „Wir schaffen das“ wird in Erinnerung bleiben, egal wie diese Krise endet. Gleichzeitig wird aber auch immer deutlicher: Frau Merkel gelingt es nicht, die Leute, die ihr zunächst noch vertraut haben, von ihrer Kompetenz zu überzeugen. Dem „Wir schaffen das“ ist kein „So werden wir das schaffen“ gefolgt, der grassierenden Verunsicherung hat sie nichts entgegen zu setzen. Sowohl die SPD als auch die CDU und CSU haben im vergangenen Dezember Parteitage abgehalten, in denen sie keine implementationsfähigen Integrationskonzepte beschlossen haben. Dem Fetisch der Schwarzen Null ist jede Idee geopfert worden, mit Geld Integrationsprojekte anzustoßen. Gleichzeitig verwickeln sich die beiden großen Volksparteien angesichts der unklaren öffentlichen Meinungen in peinliche, unkoordinierte und stümperhafte Debatten, die in der Regel nur dem angeblichen, rechten Volksgeist hinterherrennen. Hier bedürfte es auf beiden Seiten Politiker, die in der Lage dazu sind, ihre Lager zu einigen und ein Interesse daran haben, nicht nur über eine angebliche Reduzierung von Flüchtlingen zu fabulieren, sondern auch über konkrete Lösungen. Sigmar Gabriel ist im Dezember dafür zu sehr von seiner eigenen Partei geschwächt worden; Horst Seehofer hat sich noch nie für substantielle Politik interessiert, sondern rennt in den meisten Themen seiner Klientel hinterher. Zurück bleibt die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz: Eine Expertenkommission wie zu rot-grünen Zeiten oder zumindest eine inter-ministerielle Gruppe zur Diskussion und Entwicklung möglicher Integrationsansätze und -projekte wäre das Mindeste, was derzeit notwendig wäre. Doch die Bundeskanzlerin versteht ihre Richtlinienkompetenz nun wieder so wie in den ersten zehn Jahren ihrer Amtszeit: Sie schaut sich die Diskussionen um sich herum an und entscheidet sich für die populärste Option. Gut möglich, dass dieser Ansatz die größte Politikhilfe für die AfD darstellt.
Autokraten (I) – Das Souveränitätsparadox: Moderne Autokraten sind gerne darum bemüht, sich von (vermeintlich!) westlichen Werten abzugrenzen und sich jede Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zu verbieten. Weder die polnische noch die russische oder gar die türkische Regierung halten es für legitim, wenn ihnen jemand etwas vorschreibt. Gleichzeitig mischen sie sich aber mit Vorliebe in die Angelegenheiten anderer Staaten ein. Ob Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht, Polen versucht die Ereignisse der Silvesternacht in Köln propagandistische auszuschlagen oder Russland mit angeblichen Vergewaltigungen Stimmung macht – wenn es politisch nützlich ist, dann nutzt man es. Für den Westen ist die Situation delikat: In gewisser Linie mischt man sich in gleicher Art und Weise in die Angelegenheiten dieser Länder ein, wenn man z.B. mangelnde Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Hier hilft es wenig auf die Scheinheiligkeit des Gegenübers hinzuweisen (aufgrund von ungewünschter Kritik selbst zu Kritik zu greifen). Stattdessen wäre es hier notwendig, deutliche Unterschiede herauszuarbeiten: Auf der einen Seite geht es um den Wunsch, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit auf systemischer Ebene eingehalten werden, während man sich auf der anderen Seite in Einzelfälle ohne Verfahren eingemischt wird. Die Trennlinie zwischen diesen beiden Konzepten ist äußerst dünn, häufig nur schwer deutlich zu machen. Es ist daher wichtig, in jedem Einzelfall diesen Unterschied herauszuarbeiten, bevor man z.B. gegen die derzeitige polnische Regierung lospoltert.
Autokraten (II) – Ungeahnte Parallelgesellschaften: Die Demonstrationen einiger Russlanddeutscher in der vergangenen Woche haben überraschend gezeigt, dass es in mehreren Gruppen noch Potential für erfolgreiche Integration gibt. Wie aus dem Nichts ließen sich nennenswerte Gruppen für Kreml-Propaganda einspannend und dienten damit der sich diesen Protesten rasch anschließenden Rechtspopulisten und NPD-Nazis. Hier ist es beruhigend, wenn im konkreten Fall darauf verwiesen wird, dass die Mehrheit der Russlanddeutschen sich natürlich nicht so einfach vor den rassistischen Karren spannen lässt. Es hilft in dieser Situation nicht, Rassismus mit anderem Rassismus entgegen zu treten. Dennoch ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet Vertreter von Gruppen, die selbst Flucht, Aussiedlung und Vorurteile erfahren mussten – z.B. Vertriebene und Russlanddeutsche – immer wieder mit harten, uneinsichtigen und vor allem neidischen Positionen und Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen auftreten. Es zeigt, dass eigene Erfahrungen Menschen leider noch nicht dazu befähigen, Empathie gegenüber Menschen in ähnlichen Situationen zu entwickeln. Stattdessen fokussieren sich Vertreter wie Erika Steinbach (CDU) oder die (nichtrepräsentativen!) Sprecher auf den jüngsten Demonstrationen auf Argumente, die das eigene schwere Schicksal, das Flüchtlinge nun zumindest genau so stark erleben müssten, und die eigene ökonomische Situation, die durch Flüchtlinge nur erschwert werde, in den Mittelpunkt stellen. Die vergangene Woche zeigt, wie erfolgreich hetzende Propaganda in dieser Situation ist und an welchen ungeahnten Punkten noch viel Integrationsarbeit zu leisten ist. Die Ereignisse sollten ein weiterer Ansporn sein, Integrationsfehler der Vergangenheit nicht noch einmal zu wiederholen.