Gedankensplitter 50/2015
|Linke Dämmerung und konservative Hoffnungen: Argentinien hat einen konservativen Präsidenten gewählt, Venezuela hat einem sozialdemokratisch-konservativen Bündnis eine zwei Drittelmehrheit im Parlament beschert und in Brasilien droht der linken Präsidentin ein Amtenthebungsverfahren. Wohin man in Südamerika auch guckt, die einstigen linken Hoffnungsträger versinken in Wirtschaftskrisen und Korruptionsaffären und scheinen einem bitteren Ende entgegen zu sehen. Die FAZ beschrieb in einem Artikel auf der dritten Seite in der vergangenen Woche sehr gut, wie die Bevölkerungsschichten, die in Venezuela einst am Meisten von der linken Politik profitiert haben, sich nun von dieser abwendeten. Mit ihren diktatorischen Allüren, der Korruption und der schwächelnden Wirtschaft hätte sich die linke Politik kaum noch von der der konservativen Eliten unterschieden. So bleibt zu hoffen, dass die nun an die Macht zurückstrebenden konservativen Eliten nicht noch diktatorischer, korrupter und sozialfeindlicher agieren als die derzeitigen versagenden linken Eliten. Der Blick auf vergangene Regierungsprojekte konservativer Politiker z.B. in Argentinien und Brasilien der 90er Jahre oder Chile bis zur letzten Präsidentschaftswahl lädt uninformierte Beobachter wie mich nicht gerade zu Optimismus ein.
Französische Regionalwahlen: Der Front National hat bei den heutigen Regionalwahlen keine Region erobern können, die französischen Sozialisten fünf und die Konservativen um Ex-Präsident Sarkozy sieben. Was zunächst nach einem Sieg aussieht, ist eigentlich ein chaotisches Bild: In zwei Regionen konnte der Front National nur aufgehalten werden, weil die Sozialisten aus republikanischen Idealen und alten Traditionen folgend, ihre Kandidaten zurückgezogen haben. Die Konservativen Sarkozys haben sich solchen Schritten verweigert. Nach dieser Rechnung haben die Republikaner Sarkozys gerade einmal so viele Regionen aus eigener Kraft erobert wie die Sozialisten. Sowohl für die linken Sozialisten als auch für die konservativen Republikaner Frankreichs ist adie derzeitige Lagerbildung mit drei etwa gleich starken Lagern ngesichts des Mehrheitswahlrechts mit Stichwahl ein großes Problem. Um einen eindeutigen Regierungsauftrag 2017 zu erhalten, der von dem bloßen anti-Sarkozy Gefühl, das Hollande 2012 zum Präsidenten gemacht hat, abweicht, müssen sie eine neue Strategie finden, um die Bevölkerung zu überzeugen. Sarkozy, das zeigt die Regionalwahl, hat diese Chance mit seinem Comeback verpasst: Er hat den Namen seiner Partei geändert, mal am rechten Rand gefischt, viele populistische Sprüche abgelassen und gleichzeitig ein Wahlbündnis mit den Zentristen geschmiedet. Das ist so inkohärent, dass es nicht überzeugen konnte – eine ernsthafte und vor allem nicht populistische Programmdebatte der Konservativen wäre notwendig. Aus der sozialistischen Partei hört man ebenfalls bereits die Idee, den Namen zu ändern. Was es bei den Sozialisten zu ändern gilt, sind die zerstrittenen Parteistrukturen, die sich widersprechenden zwischen Sozial- und Wirtschaftsförderung hin- und herpendelnden Politikprogramme und vor allem den Regierungsstil, der bisher katastrophal nach außen kommuniziert wurde. Nur wenn dies auf beiden Seiten des politischen Spektrums geschieht, besteht die Möglichkeit, dass Frankreichs Politik 2017 wieder über substantielle Fragen diskutiert und nicht über die leichten Lösungen des Front National. Mit den populistischen Konservativen und den zerstrittenen Sozialisten erscheint dies jedoch keine besonders wahrscheinliche Option.
Substantielle Politik angesichts der Flüchtlingskrise: Bereits in der letzten Woche verwies ich auf die unterschiedlichen Argumentationsmuster in der CDU und der SPD angesichts der gewaltigen Integrationsaufgaben: Während die CDU vor allem Panik sähe, schlugen die SPD-Minister mit Malu Dreyer ein Bildungs-, Arbeits- und Sozialpaket vor, um die Integration erfolgreich zu begleiten. Das wurde von den Medien als halbe Wahlkampfunterstützung für Malu Dreyer, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, abgetan. Diese Woche fordert Julia Klöckner, CDU-Kandidatin in Rheinland-Pfalz, in der FAZ eine Integrationspflicht für Flüchtlinge – ohne zu spezifizieren, welche Integrationsleistungen der Staat denn leisten werde, damit Flüchtlinge in diesem Land überhaupt Integrationsmöglichkeiten haben. Dieser Vorstoß stieß in den Medien aufgrund seiner populistischen Schlagseite auf breite Resonanz. So stellt sich die Frage, wie in diesem Land mit diesem Mediensystem eigentlich sachlich über substantielle Aspekte der Politik diskutiert werden soll, wenn die schrillsten Vorschläge wie „Mindestlohn für Flüchtlinge abschaffen“ (Spahn) und „Integrationspflicht“ (Klöckner) ein großes Forum, die sachlichen Aspekte wie „Bildung ausbauen“ (SPD-Ministerinnen und Dreyer) aber ausgeblendet werden. So fördert man das Denken in populistischen Kategorien.