Ancillary Justice (von Ann Leckie)
|Der Roman wurde auf deutsch unter dem Titel „Die Maschinen“ im Heyne-Verlag veröffentlicht. Die einleitende kurze Inhaltsangabe spoilert bereits weite Teile der Handlung.
In einer fernen Zukunft hat die Menschheit die Erde längst verlassen und sich über die Galaxis ausgebreitet. Der Großteil der bewohnten Planeten wird von dem Radch Imperium beherrscht, das auf äußerst aggressive Art und um die eigene Wirtschaft zu stützen, ständig benachbarte Systeme erobert. Dabei greiftdas Imperium auf riesige Schiffe zurück, die mit Ancillaries besetzt sind. Dies sind ehemalige Sträflinge, deren Bewusstsein ausgelöscht wurde und die nun von dem intelligenten Schiffscomputer gesteuert werden. Angeleitet wird diese Armee von einigen wenigen menschlichen Offizieren. Auch der Herr des Imperiums selbst, Anaander Minaai, besteht aus vielen dieser Ancillaries. Die Handlung setzt aus der Perspektive Breqs des letzten verbliebenen Ancillaries des Raumschiffes Justice of Toren ein, der seine ehemaliges menschliches Crewmitglied Seivarden trifft. Aus ihm selbst unerfindlichen Gründen, rettet er Seivarden vor dem Erfrieren. Dabei hat er sich selbst zum Ziel gesetzt, Rache an dem Verantwortlichen der Zerstörung der Justice of Toren zu nehmen. Und verantwortlich ist niemand anderes als der Imperator des Radch Reichs.
Leckie wählt einen äußerst ruhigen Einstieg für ihren Roman. In den Kapiteln wird immer abwechselnd zwischen der Erzählgegenwart, in der Breq seinen Rachefeldzug vorbereitet und von Seivarden und dessen Drogeneskapaden aufgehalten wird, und der Vergangenheit, in der Breq noch ein Teil der Justice of Toren war und an einem der letzten Eroberungsfeldzüge des Radch-Imperiums hin und her. Dabei präsentiert Leckie eine dichte, faszinierende Zukunftsversion, die vor allem durch seine Fremdartigkeit überzeugt. Die Handlung selbst spielt in der Regel abseits des Geschehens, an der Peripherie. So ist die Justice of Toren zunächst auf einem Randplaneten zur Friedenssicherung stationiert. Später befindet sich Braq am Rand außerhalb des Imperiums, um von dort aus Rache zu nehmen.
Der fremde Eindruck wird durch eine Besonderheit dieser Zukunftserzählung noch verstärkt. Die Menschheit kennt zumindest im Radch Imperium keine Geschlechter mehr. Braq befindet sich allerdings zu Beginn auf einem Planeten, dessen Bevölkerung in der Sprache noch zwischen Geschlechtern unterscheiden. Dies fällt ihm auffallend schwer. Gleichzeitig ist es völlig normal, dass ein elektronisches Bewusstsein über mehrere (eroberte) Körper verstreut ist. Dies kann zu absurden Situationen führen. So ist ein weiteres Kernelement der Erzählung, dass die vielen Ancillaries des Radch-Imperators verschiedene Fraktionen gebildet haben und sich gegenseitig bekämpfen. Sowohl diese Art des Verhaltens als auch die Geschlechtslosigkeit vieler Akteure geben dem Roman eine faszinierende Note.
Vor allem die Gefühlsregungen der Protagonisten sind dadurch nur sehr schwer zu deuten. Zuerst ist der Hauptcharakter eigentlich ein elektronisches Bewusstsein eines Schiffes. Im Laufe der Handlung wird aber immer deutlicher, dass dieses Schiff in der Lage gewesen ist, Beziehungen zu seinen Crewmitgliedern aufzubauen, Favoriten zu identifizieren und für diese so starke Gefühle aufzubauen, dass es selbst seine Primäraufträge ignorieren kann, um diese zu schützen. In diesem Zusammenhang kommt es in der Vergangenheitsebene zu dem dramatischsten und bewegendsten Punkt des Romans, indem Justice of Toren seinen Lieblingslieutnant töten muss. Insgesamt ist der Prozess der schleichenden Persönlichkeitsentwicklung Braqs äußerst eindringlich geschrieben.
Immer wieder schimmern aber auch in anderen Charakteren hinter den stark hierarchisch geprägten, autoritären Konventionen des Imperiums Gefühle durch. Das weitverbreitete Patronagesystem stellt sich immer wieder auch als eine Form der Liebe heraus. Vor allem Seivarden, einst in ein hohes Haus geboren, nun noch immer arrogant aber verarmt, macht eine beeindruckende Wandlung in dem Roman durch. Versucht sie zunächst nur, Braq auszunutzen, so scheint sie starke Gefühle für ihn zu entwickeln, die die Grundlage für seinen kleinen Erfolg am Ende der Erzählung bilden. In solchen Situationen ertappt man sich immer wieder, Geschlechterrollen auf die Charaktere schreiben zu wollen, die Leckie regelmäßig widerlegt. Und obwohl man sich nie ganz sicher sein kann, bleiben doch die hinter Konventionen versteckten Gefühlsausdrücke immer wieder zum Vorschein – diese Art von Beziehungen gehören also nicht nur zu Braqs Personwerdung dazu, sondern auch zu der zukünftigen Menschheit.
Trotz all der Fremdartigkeit, die Leckie in ihren Roman einbaut, bleiben Grundkonstanten menschlichen Handelns und menschlicher Interaktion also bestehen. Dies führt immer wieder zu berührenden Szenen und verleiht dem Roman einen epischen Eindruck.
Allerdings krankt der Roman an einem wichtigen Element: weiten Teilen der Erzählung fehlt schlicht die Spannung. Erst am Ende, als Breq in das Herz des Imperiums vordringt, kann so etwas wie Spannung aufkommen. Dieses Ende ist aber viel zu schnell erzählt. Es bleiben weiterhin viele Fragen offen und der Roman vermittelt eher den Eindruck eines langen (und streckenweise langatmigen) Auftaktes für mögliche Fortsetzungen.
Insofern ist „Ancillary Justice“ kein traditioneller, schnell erzählter Space-Thriller, den das Cover oder der Klappentext ankündigt. Es ist jedoch eine faszinierende Zukunftsversion, die den Leser Einblick in eine Welt gibt, in der Geschlechter eine andere Rolle spielen, künstliche Lebewesen ihr Bewusstsein über mehrere (geraubte) Körper koordinieren und dabei letztlich selbst Gefühle und menschliche Regungen entwickeln. Das ist in den besten Momenten faszinierend und lässt den Leser staunend zurück.