Alternativen für Deutschland?
|In Deutschland regiert der Konsens. Die Große Koalition hält knapp 80 Prozent aller Bundestagssitze, die parlamentarische Opposition ist kaum zu hören. Unzufriedenheit drückt sich daher außerhalb des Bundestages aus: Bei der Europawahl Ende Mai erhielt die rechtspopulistische AfD ein respektables Ergebnis, in Thüringen scheint die letzte Landtagswahl im September den ersten linken Ministerpräsidenten hervorzubringen. Beide Ereignisse rufen bestürzte Reaktionen hevor.
Wolfgang Schäuble, Finanzminister und konservatives Urgestein, bezeichnet die AfD als Schande für Duetschland. SPD-Generalsekretärin Fahimi rief in einem Gastbeitrag dazu auf, ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen die Partei zu gründen. Dabei solle die AfD zwar nicht dämonisiert werden und die Parteien müssten sich selbst ein wenig ändern, den Vorwurf der „Schande“ wiederholte sie und fügte hinzu, dass die AfD keinesfalls in eine Koalition im Bund oder auf der Länderebene eingebunden werden dürfe.
Ein Linker Ministerpräsident ist eine absolute Horrorvorstellung für Deutschlands Konservative. Einige ihrer Kommentare lassen vermuten, dass Thüringen bald in eine sozialistische Diktatur umgebaut wird. Etwas zurückhaltender hat Bundespräsident Gauck seine Sorge formuliert: Er habe Probleme, Teilen der Linkspartei zu vertrauen. Letztlich reiht er sich dabei in das Lager derjenigen ein, die die Partei für regierungsunfähig halten.
Während der Bundespräsident also Probleme damit hat, einer linkspopulistischen Partei zu vertrauen, hat ein großer Teil der Bevölkerung Probleme damit, den regierenden Parteien zu vertrauen. Nach nunmehr neun Jahren weitestgehend „alternativloser“ Politikkommunikation erscheint es kaum noch, als wolle die Politik tatsächlich etwas ändern. Dabei müssen sich die Parteien der Mitte nicht nur ein wenig ändern, sondern grundsätzlich an einer stimmigen Politik arbeiten.
Natürlich zieht die AfD einen Kern rechtsextremer, homophober und in der Vergangenheit lebender Menschen an. Letzlich besteht ihr Programm aber zu weiten Teilen, wie von verschiedenen Satire-Sendungen betont wurde, aus alten Parolen der CDU. Diese Parolen ziehen noch immer Wähler an. Das liegt auch daran, dass die Christdemokraten ihre Politik seit 2005 radikal geändert haben, um in der linken Mitte Wählerstimmen zu fischen. Dabei haben sie es aber weitgehend vermieden, einem Teil ihrer Wähler zu erklären, warum dieser Wechsel notwendig ist. Stattdessen ist häufig das Gegenteil eingetreten: So erklärte man zum Beispiel vollmundig, dass keinem Euro-Land geholfen werde, nur um genau dies zu tun. Oder man kritisiert jahrelang die Funktionsweise der Europäischen Union nur um selbst überhaupt keine Alternative zu der derzeitigen Struktur aufweisen zu können. Diese Unstimmigkeiten bemerken Wähler und suchen nach überzeugenderen, stimmigeren Alterantiven – wie zum Beispiel der Alternative für Deutschland.
Auch die LINKE besteht zu Teilen noch aus alten SED-Kadern und aus gelinde gesagt skurrilen Gestalten. Doch auch ihre Forderungen bestehen zu weiten Teilen aus SPD-Parolen der 70er und 80er Jahre. Diese hat die SPD zuerst bei Versuchen sich „regierungsfähig“ zu machen abgemildert und anschließend während der Regierungszeit von 1998 bis 2005 schrittweise aus dem sozialdemokratischen Repertoire entfernt. Wie bei der CDU hat man dabei nicht nur den Wählern nicht erklärt, warum dieser Wechsel hin zur rechten Mitte notwendig gewesen ist. Man hat zudem im Anschluß keine konsistente Politik gefahren. So war ein Grund für das miserable Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl 2009, dass man nach vier „rechten“ Jahren (Rente mit 67, Mehrwehrtsteuerhöhung und Schuldenbremse) dem Wähler ein „linkes“ Wahlprogramm verkaufen wollte. Eine ähnliche Strategie wurde im vergangenen Jahr gefahren: Das „linke“ Wahlprogramm wurde von einem „rechten“ Kanzlerkandidaten verkauft. Wähler erkennen diese Widersprüche und wenden sich Alternativen zu.
Diese Alternativen argumentieren mit veralteten Argumenten. Nostalgisch beziehen sie sich auf ideologische Propaganda vergangener Jahrzehnte. Daraus kann weder eine überzeugende Alternative erwachsen noch wirklich gute Politik. Die AfD und die LINKE können hauptsächlich Einfluss ausüben, weil sich die regierenden Parteien nicht dazu bemüßigt fühlen aktiv an vorausblickenden, gestaltenden und zukunftsweisenden Programmen zu arbeiten. Stattdessen verlieren sie sich im Klein-Klein beschließen hier einen Mindestlohn ab 2017 und dort eine kleine Rentenerhöhung. Darüber hinaus verinnerlicht die Mehrheit jedoch das merkelsche Durchwurschteln, das die meisten Probleme so lange ignoriert bis sie den eigenen Wahlerfolg riskieren. So erscheinen Attacken auf populistische Parteien wie Wählerbeleidigungen. Daher kann man nur hoffen, dass sich die vermeintlichen Alternativen selbst entzaubern.
Besser als auf dieses „Prinzip Hoffnung“zu setzen, wäre es, die vermeintlichen Volksparteien würden sich tatsächlich ändern. Anstatt wie die Bundeskanzlerin das Regierungshandeln von Umfragen abhängig zu machen, müsste eine originelle Konzeption der drängenden (Rand)Fragen der Gesellschaft entwickelt werden, über die im Anschluss der Wähler entscheidet. Das wären Alternativen für Deutschland, die diesen Namen auch verdienen.