Cannibales (von Philip Le Roy)
|2003 verschwindet Tanya, die Tochter Ryan Fletchers auf Borneo. Man vermutet sie im dortigen Dschungel entweder in den Händen von Islamisten oder Kannibalen. Auf der Suche kommen sowohl Fletchers Gattin als auch alle anderen Mitglieder des Teams bei einem Kannibalenangriff ums Leben. Fletcher verliert einen Arm, kann sich aber gerade noch retten. Zehn Jahre später ist er in einer unglücklichen Ehe, erhält aber ein Lebenszeichen seiner verschwundenen Tochter. Zusammen mit einem Journalisten macht er sich auf die Suche nach Tanya.
„Cannibales“ ist eine sehr düstere Geschichte. Das wird bereits auf den ersten Seiten deutlich als Fletcher mit einem blutigen Armstumpf aus dem Dschungel zurückkehrt. Wie im ersten Teil der dritten Staffel der „kleinen Krimi“-Serie der Tageszeitung „Le Monde“ und des französischen Bahnunternehmens SNCF steht in exotischer Ort im Mittelpunkt der Handlung. Auf Borneo wimmelt es in dieser Novelle so sehr von Islamisten und Kannibalen, dass es schon stereotyp wirkt.
Gerettet wird die eher schlichte Darstellung des indonesischen Insellebens durch die gelungene Charakterarbeit mit Fletcher. Eingeleitet wird die Geschichte mit einem Selbstmord. Wer sich da im Jahr 2013 in New York umbringt, ist unklar. Im Anschluss erlebt man einen Ehestreit der Fletchers, in dem Rynas große Liebe zu seiner Tochter äußerst deutlich wird. Ihr Verschwinden ist auch für den Leser ein großes Rätsel. Die anschließende, fatale Dschungelszene erfährt man nur aus einem Bericht Fletchers. Es erscheint danach sehr unglaubwürdig, dass der Arzt zehn Jahre lang nichts unternimmt, um seine Tochter wiederzufinden. Zwar sind ihre Überlebenschancen tatsächlich gering; die Vermutungen, Fletcher habe den Moment hauptsächlich genutzt, seine Frau im Dschungel zu ermorden, werden durch diesen fehlenden Tatendrang natürlich genährt.
Mit dem Hinweis auf Tanyas Überleben beginnt eine wilde Suche im Dschungel Borneos. Dieser Teil ist leider äußerst actionlastig geworden. Gefechte mit Islamisten und Kannibalen bilden den größten Abschnitt dieser Handlung. Leider gelingt es dem Autor dabei kaum Sympathien für die Opfer aufzubauen. Das liegt vor allem daran, dass diese äußerst zahlreich sind. Allerdings trägt dieses massenhafte, anonyme Sterben auch zur dunklen Stimmung der Novelle bei. Da die Geschichte zudem vor allem aus Fletchers Perspektive geschrieben ist, sorgen die Kämpfe beim Leser für weitere Zweifel an der Integrität des Doktors.
Die endgültige Aufklärung des Falls auf den letzten Seiten ist dennoch schockierend. Was immer man sich nach der angeblichen Rettung Tanyas ausgedacht hat, wird durch die Offenbarung auf der letzten Seite noch einmal übertroffen. So grausam die Wahrheit auch ist, so überzeugend ist sie letztlich konstruiert. „Cannibales“ ist somit die spannende Schilderung grausamster Taten in einem leider stereotypen, zu actionlastigen Setting.