Ein europäischer Maulkorb?
|Am 13. Mai stimmte das Europäische Parlament über eine Resolution gegen den russischen Einmarsch in der Krim ab. Anstatt zahlreicher einzelner Resolutionen, die zunächst von den Fraktionen des Parlaments eingebracht wurden, einigten sich die Konservativen (EVP und auch die ECR), die Sozialisten (S&D, SPE), die Grünen (GRÜNE/EFA) und die Liberalen (ALDE) auf eine gemeinsame Resolution. Gemeinsam setzte man somit ein starkes Zeichen des europäischen Parlamentarismus gegen die russische Expansion, ein Zeichen auf das sich die Regierungschefs noch nicht einigen konnten. In Deutschland machte jedoch ein sehr spezielles Thema Schlagzeilen: Die Grünen versuchten, Gerhard Schröder einen Maulkorb zu verpassen.
Zunächst der Wortlaut der geplanten Änderung der Resolution. Die Grünen hätten gerne festgestellt: das Europäische Parlament „bedauert die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder über die Krise in der Ukraine; betont, dass er keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen, da er sich aufgrund seiner Beziehungen zu dem Unternehmen Gasprom, das eines der bedeutendsten außenpolitischen Instrumente Russlands darstellt, in einem eindeutigen Interessenkonflikt befindet“. Resolutionen werden meist als Appell getroffen in Situationen, in denen man selbst nicht handeln kann. Das trifft auch auf diese Änderung zu. So wenig wie das Europäische Parlament den Einmarsch Russlands verhindern könnte, kann es Gerhard Schröder tatsächlich verbieten, sich zu dem Thema zu äußern. Trotzdem trifft man Resolutionen nur, wenn man der Ansicht ist, das Recht zu Einmischung zu besitzen.
Der russische Einmarsch widerspricht zumindest dem westlichen, bis vor kurzem auch noch von Russland angewandten Verständnis des Völkerrechts. Da Verstöße gegen diese geschriebenen und ungeschriebenen Prinzipien der internationalen Politik Auswirkungen auf zukünftige Konflikte haben können, mischt sich das Parlament ein. Die versuchte Resolutionsänderung gegen Gerhard Schröder hingegen ist eine Mischung aus mangelnder demokratischer Kultur bei den Grünen sowie eigener Anmaßung.
Zunächst müssen auch die Grünen damit leben, dass Menschen und ehemalige Politiker ihre Meinung nicht teilen. Natürlich kann man argumentieren, dass Gerhard Schröder aufgrund seiner Anstellung bei Gasprom nicht neutral argumentieren kann. Diese Argumentation ist aber unglaublich naiv, da kein aktiver oder ehemaliger Politiker neutral oder gar objektiv argumentiert, sondern immer aus einer bestimmten Position heraus. Bei Gerhard Schröder ist das Gasprom, bei Joschka Fischer die Nabucco Pipeline und bei aktiven Grünen vielleicht Solar- und Windkraftinteressen.
Zweitens senden die Grünen mit dem Versuch, einem Individuum die Äußerung der eigenen Meinung zu verbieten, ein ganz schlechtes Signal vor dem Europawahlkampf. Europapolitiker kämpfen seit langem gegen das Image der Gurkenregulierer. Während die Regulierung des Krümmungsgrads von Gurken jedoch noch belächelt wird, ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit von Individuen hingegen gar nicht gern gesehen. Ein Europäisches Parlament, das Einzelnen vorschreiben möchte, was sie zu sagen haben, passt ideal in die Argumentationsstruktur der Rechtspopulisten und Europaskeptiker.
Aus diesem Grund ist es geradezu erschreckend, dass die Resolution laut der Zeit nur knapp abgelehnt wurde. Das mag daran liegen, dass die Abstimmung laut Zeit-Informationen ein weiteres Signal für die (durchaus gewünschte) Polarisierung der europäischen Parteienlandschaft. So haben die Konservativen im Parlament die Grünen nämlich unterstützt, obwohl ihr deutscher Ex-Kanzler Helmut Kohl sich ähnlich wie Schröder hinsichtlich der Krim-Krise geäußert hat. Solche scheinheiligen Praktiken sind in nationalen Parlamenten Gang und Gebe. Nur gibt es auf nationaler Ebene aufmerksame Medien, die diese Widersprüche aufdecken. In Deutschland hat diesmal immerhin die Zeit gezeigt, dass die angeblich für ein „schlankes“ Europa eintretenden Konservativen für einen parteipolitischen Vorteil gerne dem Grünen Drang zur Überregulierung nachgehen.