„Nicht wählen“ verursacht schlechte Politik
|Deutschland hat keine Lust zu wählen. Was früher noch verpönt war, als Abkehr von der staatsbürgerlichen Pflicht verschrien war, ist mittlerweile salonfähig: das öffentliche Bekenntnis zum Nichtwählen. Im Spiegel schrieben in den letzten Monaten zunächst der Soziologe Wälzer und dann der Kulturkritiker Dietz Meinungsbeiträge, warum sie in diesem Jahr der Urne fern bleiben werden.
Die Kritik krankt meist daran, dass die Erwartungen an die deutsche Politik viel zu hoch sind. Der eine möchte in Deutschland gerne Systemveränderungen und die Lösung des Klimawandels verwirklicht sehen – was mit den deutschen Parteien wohl nicht gehe. Der andere konstatiert knapp, dass es schlicht keine Alternative gebe, da die Opposition keine konkreten Positionen beziehen könne (wobei er – verräterisch – als Beispiele ausschließlich außenpolitische Beispiele anführt). „Wirklichkeitsfremd“, nennt Ulf Poschardt diese Begründung für die Wahlverweigerung in der WELT und liegt damit einmal beinahe richtig.
Denn er stellt gleichzeitig noch die These auf, diese intellektuelle Kritik verachte das Wahlvolk, dass nun einmal „jenes Nietenensemble, für das nicht nur die klugen Köpfe diese schwarz-gelbe Regierung halten“ gewählt hat. „Warum, so schreien die aktuellen Reden zur Politik, warum ist dieses Land, sind seine Wähler und seine Politiker nicht mehr so wie ich?“, führt Poschardt seinen Blick auf die Kritiker fort: Er konstatiert ihnen vor allem Narzissmus. Es wäre schön, wenn er damit richtig läge.
Leider befindet sich die Begeisterung für die Bundestagswahl jedoch auch bei der Bevölkerung im Keller. Gefördert wird das von Angela Merkels CDU. Bei der Strategie der asymmetrischen Mobilisierung, 2009 einst angewendet, in diesem Jahr wiederholt, geht es einzig darum, dass mehr Wähler des politischen Gegners zuhause bleiben als eigene Wähler. Das verhindert den demokratischen Diskurs, der am intensivsten während des Wahlkampfes sein sollte.
Im derzeitigen Wahlkampf stehen sich zwei Kontrahenten gegenüber, Angela Merkel und Peer Steinbrück. Sie kämpfen jedoch nicht. Dabei bezeichnet das Wort Wahlkampf eigentlich einen Wettkampf der Ideen und Konzepte. Dieser theoretische Ansatz mag schon immer naiv gewesen sein. Das paradoxe in diesem Wahlkampf ist jedoch, dass sich tatsächlich relativ unterschiedliche Konzepte gegenüberstehen und keiner bekommt es mit, da eine Diskussion darüber kaum stattfindet.
Anders als 2009 sind SPD und Grüne nämlich deutlich linker aufgestellt. Sie haben nicht nur ein ganzes Set an Steuererhöhungen in ihren Programmen stehen (von der Vermögenssteuer bis zum Spitzensteuersatz), sondern bieten relativ konkrete Konzepte gegen Baustellen wie das Lohndumping (Mindestlohn), die Altersarmut (Solidarrente) oder aber auch die Mietpreisexplosionen (Mietpreisbremse). Dem stehen aber nicht einst wie im Wettstreit Bügerversicherung (übrigens immer noch in den Programmen von SPD und Grünen) vs. Kopfpauschale Konzepte der Opposition gegenüber, die auch kommuniziert werden. Sicherlich, es gibt flächendeckende Lohnuntergrenzen, es gibt die Solidarrente und die Mietpreisbremse wurde von Angela Merkel ebenfalls versprochen. Doch wenn diese Vorschläge dann von der Opposition in den Bundestag eingebracht wurden, stimmte die Union jedes Mal dagegen.
In diesem Wahlkampf konkurrieren, da haben die Kritiker ganz recht, nicht Anhänger unterschiedlicher Systeme um die Mehrheit im Bundestag. Selbst bei einem rot-grünen Wahlsieg wird es zu keiner Revolution kommen. Doch rot-grün hat andere Antworten, rot-grün hat Vorschläge, wie dieses Land anders regiert werden könnte. Es interessiert nur leider kaum jemanden.
Die breite Masse ist verdrossen von der Politik, nicht nur ein paar narzisstische Intellektuelle Das Paradoxe daran ist, dass genau dadurch die Politik immer schlechter wird. Schwarz-gelb, selbst von Autoren der konservativen Welt als „Nietenensemble“ bezeichnet, wurde mit der niedrigsten Wahlbeteiligung seit dem zweiten Weltkrieg ins Amt gehoben. Je weniger sich die Menschen im Wahlkampf für die Programme der Parteien interessieren, desto leichter ist der anschließende Wahlbetrug für die Politiker . Wer erinnert sich denn noch daran, was die Union im letzten Wahlkampf versprochen hat? Dass sie genau so hohe Steuersenkungen wie die FDP versprochen hat? Was ist davon geblieben? Was ist von den Vorhaben des Koalitionsvertrages geschehen?
Beim CDU Wirtschaftsrat ist man sich bereits jetzt so sicher, dass der Wähler gar nicht mehr zuhört, dass man dreist verkündet, Angela Merkel werde nicht einmal versuchen, das Wahlprogramm der CDU umzusetzen. Daher haben die Jugendorganisation von SPD, Grüne und FDP in der Zeit darauf hingewiesen, dass „Nicht wählen“ gar nicht geht. Dabei haben sie nicht nur recht, wenn sie feststellen, dass „der Nichtwähler […] der einzige [ist], der unter Garantie nicht das bekommt, was er will“. Stattdessen bekommt er eine politische Klasse, die immer mehr den Kontakt mit der Wirklichkeit und den Bürgern verliert, weil eben diese Bürger sich an ihr nicht mehr beteiligen. Demokratie lebt aber von Beteiligung. Wenn keiner mehr wählen geht, niemand sich mehr in politischen Parteien engagiert, ist klar, dass sich Lobbys und Karrieremenschen durchsetzen.
Die „Alternative“ ist nicht immer offensichtlich. Und mit der Stimme bei der Bundestagswahl wird man weder die „Tragödie in Syrien“ noch die „Revolten in Istanbul und Brasilien“ (Dietz) lösen können. Aber noch haben unsere Parteien Angebote. Und nur wenn die Bürger diese auch mitbekommen, bekommen sie den anschließenden Wahlbetrug mit.
So bewahrheitet sich leider die alte Binsenweisheit: Es ist unerlässlich für die Demokratie, dass eine überdeutliche Mehrheit der Bevölkerung, sich wenigstens alle vier Jahre einmal über das Angebot der Politik informiert und zur Wahl geht. Gerade durch den Boykott der Wahl stellt man den Politikern hingegen einen Blankoscheck aus und macht deutlich, dass sie vier Jahre machen können, was sie wollen – den Nichtwähler müssen sie an der Urne schließlich nicht fürchten.
Nicht nicht wählen verursacht schlechte Politik, sondern Politiker.
„So bewahrheitet sich leider die alte Binsenweisheit: Es ist unerlässlich für die Demokratie, dass eine überdeutliche Mehrheit der Bevölkerung, sich wenigstens alle vier Jahre einmal über das Angebot der Politik informiert und zur Wahl geht.“
Wenn ich mir die Bundestagswahlergebnisse seit 1949 bis 2009 anschaue, hat es diese „überdeutliche Mehrheit“ immer gegeben. Im Durchschnitt lag sie bei ca. 84%. Also was soll die unterschwellige Angstmacherei, die Demokratie sei aufgrund einer geringen Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen in Gefahr? Eine geringe Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen hat es faktisch nie gegeben.
„Daher haben die Jugendorganisation von SPD, Grüne und FDP in der Zeit darauf hingewiesen, dass ‚Nicht wählen‘ gar nicht geht. Dabei haben sie nicht nur recht, wenn sie feststellen, dass ‚der Nichtwähler […] der einzige [ist], der unter Garantie nicht das bekommt, was er will‘.“ Warum sollte „Nicht wählen“ keine legitime Option sein? Woher wissen die Jugendorganisationen dieser Parteien, was der Nichtwähler will? Was er auf jeden Fall nicht will, ist allerdings eindeutig: wählen gehen.
„Stattdessen bekommt er eine politische Klasse, die immer mehr den Kontakt mit der Wirklichkeit und den Bürgern verliert, weil eben diese Bürger sich an ihr nicht mehr beteiligen. Demokratie lebt aber von Beteiligung. Wenn keiner mehr wählen geht, niemand sich mehr in politischen Parteien engagiert, ist klar, dass sich Lobbys und Karrieremenschen durchsetzen.“ Dies ist ein absolut unhaltbares Argument für das „Wählen gehen“. Denn trotz einer im Durschnitt sehr hohen Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen von 1949 bis 2009 von beinahe 84% existieren genau die von Ihnen angeführten Mißstände!
MfG
ussamkusser
Sie haben ganz recht, die „überdeutliche Mehrheit“ war schlecht definiert. Natürlich kann man, wenn man alle Bundestagswahlen zusammenzählt, auf einen hohen Durchschnitt kommt. Der von Ihnen errechnete Wert wurde jedoch zuletzt 1987 erreicht, die 80%-Marke wurde das letzte Mal 1998 überschritten.
Vor vier Jahren erreichte die Wahlbeteiligung mit gerade einmal 70,9% einen absoluten Tiefstand, womit soweit ich das ersehen kann, mehr Menschen nicht gewählt haben, als für die CDU gestimmt haben. Ich denke schon, dass dies mit ein Grund dafür ist, warum die schwarz-gelbe Regierungals (von einem Oppositionsblickwinkel) die untätigste Regierung oder als (von einem regierungsfreundlicheren Blickwinkel) „Nietenensemble“ gesehen wird.
Es ist klar, dass diese Menschen nicht wählen möchten. Der derzeitige Wahlkampf – und da haben Sie meine Position auf eine der beiden Argumente im letzten Absatz verengt – zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass Inhalte kaum eine Rolle spielen. Das mag auf der einen Seite daran liegen, dass bestimmte Parteien mit Inhaltslosigkeit sogar Wahlkampf machen, auf der anderen Seite gibt es aus der Bevölkerung aber auch kaum mehr die Forderung, dass Politik erklärt wird und mit Inhalten gefüllt wird. Denn gänzlich abkoppeln kann sich das politische System auch bei 71% Wahlbeteiligung nicht von den Wählern. Daher der von Ihnen zitierte Satz: „Es ist unerlässlich für die Demokratie, dass eine überdeutliche Mehrheit der Bevölkerung, sich wenigstens alle vier Jahre einmal über das Angebot der Politik informiert und zur Wahl geht.â€
Wählen zu gehen, bedeutet nun einmal sich vorher über das Angebot zu informieren. Wenn sich ein Direktkandidat vor 30% seiner Wähler nicht einmal mehr verantworten muss, kann er sich viel mehr herausnehmen – zumal ja bekannt ist, dass sich die übrig gebliebenen Wähler ebenfalls nicht alle über die Arbeit und die Positionen „ihres“ Kandidaten informieren. Ich denke schon, dass je höher die Wahlbeteiligung ist, desto höher ist auch die Anzahl derjenigen, die die Politiker kontrollieren und dadurch diejenigen Kandidaten, die sich nur von Lobbys oder ihren Karriereplänen leiten lassen, an der Urne abstrafen.
Erschreckend finde ich dagegen, wenn vermehrt Intellektuelle dazu aufrufen, den Weg der Resignation zu gehen, anstatt dafür zu appellieren, sich dafür einzusetzen, dass die jetzigen Missstände beseitigt werden. Denn letztlich rekrutiert sich das Personal der Parteien aus der immer kleiner werdenden Masse derjenigen, die noch bereits sind, sich in solchen zu engagieren. Wer mit der Auswahl nicht zufrieden ist, kann entweder resignieren und Politiker machen lassen, was sie halt machen wollen oder aber zumindest versuchen, mithilfe einer Stimme zu zeigen, was man vielleicht noch als das „kleinste Ãœbel“ betrachten kann.
Moin m-DiS,
ich habe leider einen zweiten Kommentar gepostet, da ich dachte, mein erster Kommentar sei nicht veröffentlicht worden. Ich möchte mich hier für meine ziemlich angenervte Einleitung im zweiten Kommemtar schon einmal entschuldigen. Tut mir leid!
Nun zu Ihrer Antwort:
„Vor vier Jahren erreichte die Wahlbeteiligung mit gerade einmal 70,9% einen absoluten Tiefstand, womit soweit ich das ersehen kann, mehr Menschen nicht gewählt haben, als für die CDU gestimmt haben.“
Was den ersten Teil Ihres Satzes betrifft, bin ich ganz auf Ihrer Seite. Allerdings stimmt Ihre Rechnung, dass es mehr Nichtwähler als CDU-Wähler gegeben hat, nicht. Die Wahlbeteiligung 2009 lag bei 70,8 %. Somit haben 29.2 % nicht gewählt. Die CDU wurde von 33,8 % gewählt. Meine Quelle lautet: http://www.wahlrecht.de/ergebnisse/bundestag.htm. Ihrer Argumentation mit den Prozentmarken kann ich folgen, obwohl ich sagen muss, dass es von 1990 bis 2005 bei den Bundestagswahlen nahezu eine Wahlbeteiligung von 80 % gegeben hat. Aber ich will hier jetzt nicht um Statistik feilschen. Fakt ist ein unübersehbarer Rückgang der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2009. Die dafür wahrscheinlich zu nennenden Ursachen geben Sie ja in Ihrem Artikel selbst an: „Leider befindet sich die Begeisterung für die Bundestagswahl jedoch auch bei der Bevölkerung im Keller. Gefördert wird das von Angela Merkels CDU.“ Aber natürlich hat auch die rot-grüne VorgängerRegierung ordentlich dazu beigetragen. Ich nenne da nur die Liberalisierung des Arbeitsmarkts sowie überhaupt die Agenda 2010. Und 16 Jahre Helmut Kohl gehen auch nicht spurlos am Menschen als Wähler vorbei.
„Es ist klar, dass diese Menschen nicht wählen möchten.“ Welche Menschen? Verstehe ich nicht.
„Wählen zu gehen, bedeutet nun einmal sich vorher über das Angebot zu informieren.“ Genau! Wenn wir uns die Wahlprogramme der Parteien dann aber anschauen, und nach der Wahl nichts von dem bekommen, was uns dort versprochen worden ist, führt dies wahrscheinlich mit zu dem Phänomen, dass wir 2009 bei der Bundestagswahl beobachten konnten. „Wenn sich ein Direktkandidat vor 30% seiner Wähler nicht einmal mehr verantworten muss,…“ Er muss sich sogar vor 100% seiner Wähler verantworten – warum nur vor 70%? Aber er muss sich auch vor den 30% der Nichtwähler verantworten, die ihm für seine Politik gar kein Mandat gegeben haben!
Leider reicht meine Zeit nicht aus, um den Schluss Ihrer Antwort zu beleuchten. Ich bedanke mich für Ihre Antwort auf meinen ersten Kommentar und entschuldige mich nochmals für die Einleitung meines zweiten Kommentars.
MfG
ussam
Moin ussam,
ich freue mich über jeden Kommentar, da es leider ja nicht mehr so üblich ist, Blogeinträge zu kommentieren und deren Sinn ja eigentlich ist, Diskussionen auszulösen.
Erst einmal zu meiner Rechnung. Ja, die CDU wurde von 33% der Wähler gewählt. Wenn aber nur 71% wählen gegangen sind, bedeutet das, dass von allen Wahlberechtigten gerade einmal 23% die CDU gewählt haben (meine Rechnung, basierend auf Schulformeln: 33*71/100 (Prozentsatz A von nicht 100%*Wert des Prozentsatzes, von dem A Prozentsatz ist/100)). Das liegt deutlich unter den 29,9 Prozent Nichtwählern!
Ihre Argumentation mit großer Koalition, rot-grün und Kohl-Ära als Serie von Enttäuschungen kann ich gut nachvollziehen. Dazu gehört aber denke ich auch, dass sich in diesen Jahrzehnten die Begeisterung der Menschen für Politik deutlich abgekühlt hat. Das ist selbstverständlich die Schuld des politischen Angebots, aber ich denke auch ein wenig den Bürgern anzulasten, die sich in Resignation statt Widerstand/Veränderungswille zurückgezogen haben.
In meiner Antwort meinte ich mit „Es ist klar, dass diese Menschen nicht wählen möchten.“ die Nichtwähler und wollte damit auf ihren Kommentar „Was er auf jeden Fall nicht möchte ist klar: Wählen gehen“ anspielen, was mir leider misslungen ist. Ich glaube aber, und das wollte ich mit meiner Antwort deutlich machen, dass die richtige Reaktion ein Einfordern von mehr Erklärungen des Inhaltes, mehr Präzision sein müsste. Je klarer die Positionen im Wahlkampf gemacht werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Parteien und ihre Politiker auch vier Jahre später noch dafür verantwortlich gemacht werden. 2005 zog die SPD mit dem Versprechen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen in den Wahlkampf, am Ende des Jahres erhöhte sie sie mit der CDU um 3%, obwohl die CDU sie nur um 2% erhöhen wollte (2+0=3?). Das wurde der SPD bis 2009 vorgehalten, weil die SPD gegen die Erhöhung plakatierte und polarisierte.
2009 zog Angela Merkel mit Steuersenkungsversprechen in den Wahlkampf, die genau so hoch waren wie die der FDP. Das hat heute jeder vergessen, da Inhalte in dem damaligen Wahlkampf nicht eingefordert und nicht präsentiert wurden. Deswegen argumentieren ich, dass es wichtig ist, dass die Bevölkerung vermehrt wieder Inhalte im Wahlkampf einfordert, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit späterer Rechenschaft erhöht.
Zu den Wahlprogrammen habe ich in meiner zweiten Antwort bereits auf den Entstehungsprozess mit Koalitionsvertrag etc. verwiesen. Klar, wird in einer Koalition nicht alles umgesetzt werden können. TrotzdeM: Je lauter etwas versprochen werden, so stärker ist der Zustimmungsverlust nach dem gebrochenen Versprechen. Wenn in einem Wahlkampf aber nichts versprochen wird, kann die Bevölkerung bei der Wahl aber auch keinen Willen zeigen, da sie gar nicht wissen kann, was die einzelnen Parteien eigentlich vorhaben!
Klar muss er sich normativ vor 100% seiner Wähler verantworten. Praktisch aber nur vor denen, die wählen gehen. Denn von denen hängt seine Karriere ab. Wenn er die ignoriert, dann verliert er seinen Job. Das ist leider nun einmal bei rein rational denkenden Karrierepolitikern so, dass sie genau wissen, was sie tun müssen, um gerade ihren Job zu behalten. Die 30% Nichtwähler dürften in der Praxis dabei ausgeschlossen bleiben.
Moin m-DiS,
Ihre Rechnung stimmt natürlich zweifelsfrei. Ich habe meine Schulaufgaben nicht richtig gemacht – und bin nicht von der nur 71 prozentigen Wahlbeteiligung ausgegangen. Insofern sind die Zahlen auch von mir als problematisch anzusehen – erschrecken mich sogar ein wenig?
Ich kann Ihren Appell, trotz aller politischen Widrigkeiten sein Wahlrecht zu nutzen, ja auch sehr gut verstehen. Mich stört halt nur, wenn hier „der Nichtwähler“ als Sündenbock für eine schlechte Politik herhalten soll. Ich selber bin kein Nichtwähler, kann diese aber auch sehr gut verstehen. Ich denke auch darüber nach, ob ich bei dieser Bundestagswahl den Stimmzettel ungültig machen soll. Außerdem denke ich, dass es immer auch und gerade eine Gewissensfrage ist, ob ich eine der mir angebotenen Parteien/Politiker wählen kann. Kann ich eine Wahl aus den mir angebotenen Parteien mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, darf ich aus Schutz für meine eigene seelische Gesundheit auch nicht wählen gehen – oder muss den Wahlzettel ungültig machen. Aufgrund der gerade genannten Ãœberlegung, bin ich ja überhaupt erst auf Ihren Blog gestoßen.
Trotz allem bleibe ich allerdings bei meiner Meinung, dass schlechte Politik immer nur von Politikern gemacht wird. Denn selbst als die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen von 1990 bis 2005 – außer der aus dem Jahr 2009 – doch mit beinahe 80% sehr hoch war, wurde schlechte Politik gemacht, wie Sie ja selbst zugeben und aufgezeigt haben. Und trotz dieser 80% fürchteten, um einmal Ihren Ausdruck zu benutzen, die Politiker ihre Wähler nicht, die ja Ihrer Meinung nach bei einer nur „überdeutlichen Mehrheit“ genügend Einfluss auf die Politiker und deren Politik ausüben würden, indem nämlich immer das Damoklesschwert des Nicht-mehr-gewählt-werden über ihren Köpfen hängt. Als eine weitere Bedingung geben Sie an, dass der Wahlbürger sich auch politisch informieren und erinnern muss, um so differenzieren zu können, was denn nun von den Wahlversprechungen auch wirklich umgesetzt worden ist. Nur so könne er entscheiden, ob er seine Macht als Wähler beim Urnengang einsetzt, indem er eine(n) andere(n) Partei/Politiker wählt. Hier gebe ich Ihnen ganz recht – nur tut dies anscheinend der Großteil der Wähler nicht, denn ansonsten hätten wir eine andere Sitzverteilung im Bundestag? Oder die andere Möglichtkeit wäre, der Großteil der Wähler tut genau dies, und wählt gerade deshalb „seine(n)“ Partei/Politiker, weil er mit genau der Politik zufrieden ist. Aber: Was hat das alles mit den Menschen zu tun, die nicht zur Wahl gehen? Genau: Nichts! Und das ärgerte mich eben ein wenig am Titel Ihres BlogArtikels.
Zum Schluss kommend bitte ich Sie, meinen 2. Kommentar, der ja eigentlich ein Doppelpost ist, einfach zu löschen.
MfG
ussam
Entschuldigen Sie, die späte Antwort. Ja, wie schon erwähnt, ist der Titel bewusst stark formuliert. Ich glaube auch nicht, dass „schlechte“ Politik in einer Demokratie ausschließlich von den Politikern abhängt. Sicherlich, sie verursachen sie hauptsächlich. Gleichzeitig bedeutet das aber auch immer, dass irgendwo ein Kontrollmechanismus nicht richtig funktioniert hat. Und das kann zum Beispiel sein, dass sich nicht ausreichend Menschen die Mühe machen, sich in Parteien zu engagieren, über die sie „theoretisch“ die „Machtmenschen“ kontrollieren könnten, in dem sie ihnen auf Kreisparteitagen zum Beispiel die Nominierung in einem Wahlkreis versagen. Oder aber, zu wenig Bürger informieren sich direkt über ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin vor Ort und wählt stumpf, was sie immer gewählt haben. Das sind, das ist mir klar, minimale Einflusschancen. Wenn man das System einer repräsentativen Demokratie aber für richtig hält, dann sollte man dafür werben, dass mehr Leute zumindest zu letzterer Option greifen.
Ich bleibe auch bei meiner These, dass Politiker natürlich auch bei hoher Wahlbeteiligung Mist gebaut haben, dass geringe Wahlbeteiligung es ihnen aber doch erleichtert. Bei Kommunalwahlen mit einer Wahlbeteiligung von 38% (wie zuletzt in meiner Heimatstadt) ist es halt relativ einfach, an den Augen der sowieso bereits sehr kleinen interessierten Öffentlichkeit vorbei „sein“ Ding zu machen. Aber natürlich ist die von Ihnen skizzierte Gewissensentscheidung, die zum Nichtwählen führen kann, sehr verständlich. Wobei ich in dem Fall, das ungültige Wählen doch sehr bevorzuge (und auch selbst schon praktiziert habe).
Viel Spaß mit Volker Pispers!
https://www.youtube.com/watch?v=t1j1A4KpMbA
MfG
ussam