Frühlings Erwachen (von Frank Wedekind)
|Das 1891 erschienene Werk Wedekinds behandelt die Schwierigkeiten des Reifeprozesses an einem Gymnasium. Im Mittelpunkt stehen vierzehn- bis fünfzehnjährige Jugendliche. Melchior Gabor ist gut in der Schule und dank seiner liberalen Eltern bereits recht aufgeklärt. Moritz Stiefel droht von der Schule wegen schlechter Leistung verwiesen zu werden. Davor hat er große Angst, da er dann Probleme mit seinen Eltern, die ihn ansonsten ignorieren, bekommen würde. Für ihn ist daher klar, schafft er die Schule nicht, beendet er sein Leben. Wendla Bergmann hat zwar eine gütige, aber konservative Mutter. Sie wird im ganzen Stück nicht aufgeklärt und weiß daher nicht wie man schwanger wird und versteht nicht, was geschieht, als sie es tatsächlich wird. Sie alle stehen unter dem Druck der Schule, während sie gleichzeitig ihre Sexualität, über die sie von ihren Eltern kaum etwas erfahren, entweder nicht verstehen oder für eine Sünde halten müssen.
Um diese drei Hauptcharaktere entfaltet Wedekind eine konservative Erziehungslandschaft, die lediglich von Melchiors Mutter gebrochen wird. Das ist an einigen Stellen komisch. Sowohl der Schrecken, der Wendlas Mutter befällt, als von ihr verlangt wird, sie aufzuklären, als auch das Lehrerkollegium, das an der Wand zwar bekannte Aufklärer hängen hat, sich selbst jedoch keine Gedanken über die richtigen Erziehungsmethoden macht. Freilich wird jeder Humor durch die tragischen Ereignisse des Stückes begrenzt.
Denn die Lehrer nehmen natürlich keine Rücksicht auf Moritz Situation. Er schafft es zwar gerade das Schuljahr zu bestehen, doch wird deutlich, dass er langfristig sitzen bleiben wird. Als Melchiors Mutter ihm ein Ticket nach Amerika versagt, bringt er sich um. Die Schuld wird Melchior zugeschrieben, da dieser Moritz schrifltich erklärt hat, wie der Geschlechtsakt funktioniert. Zu keinem Zeitpunkt wird an Melchiors Schuld gezweifelt, niemand kommt auf die Idee, sich über weitere Gründe für den Selbstmord des Jungen Gedanken zu machen.
Zu allem Überfluss schwängert Melchior Wendla durch eine Vergewaltigung. Diese weiß gar nicht, dass sie schwanger ist. Ihre Mutter bemerkt es und versucht ihrer Tochter zunächst Bleichsucht einzureden. Die Enthüllung der Schwangerschaft ist für Wendla dann natürlich erst einmal nicht zu glauben. Die Mutter nimmt eine Abtreibung vor, um die Familie vor der Schande zu bewahren. Die Abtreibung geht schief, Wendla stirbt.
Melchior macht sich zum Schluss daher ernsthafte Schuldvorwürfe. Das ist in beiden Fällen nicht unberechtigt. Weder konnte er seinen Freund stützten, noch hat er die Konsequenzen seines Tuns für seine Geliebte vorausgesehen. Denn bei Melchiors Kenntnisstand wusste er über die Auslöser für eine Schwangerschaft Bescheid. Aber das Stück zeigt deutlich, dass auch ein liberales Elternhaus allein nicht ausreicht, um einen Jugendlichen glücklich zu machen. Melchior ist nämlich selbst vor den Tragödien nicht durchgehend glücklich. Das gehört zu dem Lebensabschnitt aber dazu und Melchior hat als einziger Jugendlicher die Freiheit zu experimentieren, ohne von prüden Eltern behindert zu werden. Sein Unglück wird durch die ihn umgebenden Verhältnisse ausgelöst, er erkennt die Probleme offensichtlich gar nicht.
Melchior ist am Ende selbst am Verzweifeln, wird aber von einem vermummten Mann wieder ins Leben zurückgeführt. Das wirkt wie ein kleines Wunder, verlässt jeden Realismus. Doch in der verfahrenen Situation hätte Melchior wohl durch nichts anderes gerettet werden können.
„Frühlings Erwachen“ ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was geschieht, wenn Erwachsene Jugendliche weder ernst nehmen, noch als Jugendliche betrachten. Mit dem Ziel, die Jugendlichen zu schützen, werden ihnen im Stück wichtige Informationen vorenthalten, während sie gleichzeitig enormen Repressionen im Schulbetrieb ausgesetzt sind. Selbst ein Jugendlicher aus liberalem Elternhaus kann dabei zur Verzweiflung gebracht werden und benötigt ein kleines Wunder, um zur Lebensfreude zurückgeführt zu werden. An dem Stück wird spannend deutlich, wie Jugendliche in einem repressiven Umfeld mit Sexualität experimentieren, von der sie keine Ahnung haben. Letztlich ist es ein Plädoyer dafür Jugendliche als solche und nicht als Kinder wahrzunehmen und sie aufzuklären, bevor sie sich aus Unwissenheit selbst schaden. Beachtlich, dass so etwas bereits 1890 verfasst wurde.