Das Spiel mit der Kugel
|Politikberichterstattung konzentriert sich immer weniger auf Inhalte, sondern auf die Personen. Das ist wichtig und in Teilen auch richtig, schließlich sind es die Akteure, die später Inhalte umsetzen müssen. Dabei gibt es lange Portraits von Politikern, wie sie im Spiegel häufig erscheinen. Manchmal entstehen so Reportagen, bei denen der Autor gar nicht alles selbst miterlebt hat, sondern sich Ereignisse nur erzählen lässt. Aber in der Regel bieten die Portraits gute Einblicke in die Persönlichkeiten. Leider werden sie meist nur dann geschrieben, wenn man auch etwas zu kritisieren hat, weswegen eher ein negativer Eindruck über die politischen Akteure entsteht. Die zweite Variante, die gern praktiziert wird, sind Personenkonstellationen. Dabei stürzt man sich vor allem auf gegenseitige Antipathien. Die letzte Variante, die vor allem im Internet immer wieder in die Welt hinaus posaunt wird, ist der spekulative Schnellschuss. Die Personal-Rochade in der FDP zeigt, dass er einem Blick in die Glaskugel gleicht.
Westerwelle war schon lange in der Kritik, bevor er als Parteichef entmachtet wurde. Ein Parteichef in Bedrängnis regt natürlich immer Nachfolgespekulationen an. Dabei konzentrierte sich die Berichterstattung auf zwei Kreise: Die Jungen in der FDP und den angeblich beliebten und guten Wirtschaftsminister Brüderle. Für einen kurzen Zeitraum tuteten eigentlich alle Online-Medien, dass Brüderle am wahrscheinlichsten als nächster Parteichef wäre. Dann kam die Wahl in Rheinland-Pfalz und ein Patzer beim Atom-Moratorium und Rösler wurde Parteichef.
Es ist nicht schön, dass auf politische Inhalte in Online-Medien und den meisten Wochenzeitungen fast komplett verzichtet wird. Es ist in Teilen verständlich, dass die Zeitungen darüber spekulieren, wer es als nächstes zu was in der Politik bringen wird.
Vor kurzem fragte die Zeit in ihrer Titelgeschichte mal wieder nach der Verantwortung der Journalisten. Durch das hauptsächliche Berichten über Personen formen die Medien auch das Bild über Politiker und können so Politikverdrossenheit in großem Maßen formen. Ein hin- und her wie im Fall Brüderle, indem er erst als nächster Parteivorsitzende gehandelt wird, die Presse deutlich macht, dass der Rest eigentlich viel zu jung ist und dann werden es doch die Jungen ist da eher schädlich für die Glaubwürdigkeit. Dem könnte man natürlich hinzufügen, dass die FDP einfach nicht über Brüderle hätte spekulieren dürfen. Doch es ist ja normal, dass zwei Lager darum Ringen, wer die Nachfolge eines strauchelnden Parteichefs antreten wird. In dem Fall hat sich das jüngere Lager halt durchgesetzt, ein normaler Vorgang.
Spiegel Online bekommt es natürlich hin, am Tag, an dem der FDP-Chef von NRW neuer Gesundheitsminister wird, ein Portrait über ihn zu schreiben. Der Titel lautet „geschmeidiger Posterboy“, etwas Inhaltliches sucht man vergeblich. Man erfährt lediglich in einem Satz, dass Bahr inhaltlich von Parteifreunden profillos gehalten wird und ihm deswegen das Gesundheitsressort früh rangetragen wurde, weil Generationengerechtigkeit sein Lieblingsthema sei. Das kann aber nur falsch sein, denn wer einige Zeit im Bundestag saß, hat automatisch Positionen, hat sich automatisch für und gegen Dinge entschieden. Darüber könnte man zu einer Inhaltseinschätzung kommen. Die TAZ konnte heute zumindest zitieren, dass Bahr davon träumt, die Krankenversicherung auf eine Grundsicherung zu reduzieren und die Versicherten für alle anderen Leistungen privat aufkommen lassen möchte. Für den Spiegel-Leser wäre so ein Zitat aber zuviel. Stattdessen endet der Artikel mit dem Hinweis, dass der Ministerposten eigentlich zu früh komme, aber ihm zu früh erreichte Ämter bisher noch nie geschadet hätten. Ein vager Blick in die Glaskugel also, verbunden mit etwas Erfahrung aus der bisherigen Karriere. Super.