Die Pest (von Albert Camus)
|Aus diesem Setting könnte man jetzt einen super Sat.1 oder Pro7-Fernsehfilm machen. Die Pest taucht wieder auf, Ausnahmezustand, Revolte, Tod, Blut, Tralallala.
Das macht Camus natürlich nicht.
Der Roman braucht eine Weile, um in Fahrt zu kommen. Im ersten Kapitel werden anhand der Ratten die verschiedenen Charaktere eingeführt. Im Verlauf des Romans merkt man schnell, dass die Geschichte nach dem Vorbild eines klassischen Dramas mit fünf Akten aufgebaut ist.
Dadurch ist es dann auch nicht verwunderlich, dass das Tempo langsam anzieht.
Die Stadt Oran liegt in Algerien an der Mittelmeerküste. Zu dem Zeitpunkt der Entstehung des Romans ist sie noch Teil Frankreichs. Camus erzählt also den Ausbruch der Pest in einer Nachkriegsstadt.
Die Präfektur schließt kurz nach der Entdeckung der Pest die Tore der Stadt. Somit sind 200 000 Menschen eingesperrt. Die Schilderung der Trennung von Familien ist eine der bewgendsten Stellen des Romans.
Die Geschichte wird zu großen Teilen aus der Sicht Rieuxs beschrieben. Er ist der Arzt, der an vorderster Front gegen die Pest kämpft. Häufig werden aber auch Passagen aus dem Notizbuch Tarrous erzählt. Tarrou ist ein Gast in dem größten Hotel der Stadt und greift im Verlauf auch als medizinischer Helfer in den Kampf gegen die Pest ein.
Der Erzähler kommentiert die Lage von Zeit zu Zeit immer wieder nüchtern. Er betont auch, dass er einen möglichst neutralen Bericht geben möchte.
Neben Rieux und Tarrou gibt es noch eine Reihe weiterer Personen. Paneloux ist ein Prediger, der die Pest als Strafe Gottes sieht. Rambert ist ein Journalist aus Frankreich, dessen einziges Ziel es ist, die Stadt zu verlassen und zu seiner Verlobten zu kommen. Grand ist ein kleiner Rathausangestellter, der große Schwierigkeiten damit hat, seine Gedankengänge in Worte zu verwandeln. Cottard ist ein Mann, der große Probleme damit hat, sich in die Gesellschaft einzufügen. Doch in Pestzeiten blüht Cottard auf und genießt auf einmal das Leben.
Unter den Hauptcharakteren findet sich interessanterweise keine einzige Frau.
Es wirkt sehr merkwürdig, dass keine dieser Personen stirbt, während die Pest sich ausbreitet. Bis zu dem Punkt als die Pest ihren höchsten Ausbreitungsgrad erreicht hat, leben alle näher charakterisierten Personen.
Erst als die Pest schon abschwellt, werden auch einige von Rieux Freunden und Bekannten befallen.
Tarrou und Rieux entwickeln eine tiefe Freundschaft. Tarrou ist eines der letzten Opfer der Pest. Tragischerweise stirbt Rieuxs Frau ebenfalls, obwohl sie die ganze Zeit außerhalb Orans weilt. Sie war schon vorher krank.
Als die Pest schon abklingt, gelingt es ein Serum gegen die Seuche zu entwickeln. Die Pest verschwindet während des Winters und die Stadt kehrt zur Normalität zurück. Dies geschieht im fünften Kapitel.
Zu dem Zeitpunkt merkt Rieux auch, wie einsam er ist. Trotzdem scheint es, als habe er am meisten aus der Seuche gelernt. Er wirkt abgeklärter als vorher. Für ihn hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, für die Menschen zu kämpfen.
Letztendlich gibt sich Rieux auch als Erzähler zu erkennen. Dadurch werden die nüchternen Kommentare des Erzählers verständlicher.
Am interessantesten fand ich während der ganzen Lektüre das Verhalten der Bewohner Orans. Camus widmet eigentlich jedem eine kleine Passage. Da gibt es die, die mit dem eingesperrt sein nicht klar kommen und sich frei kämpfen wollen. Es gibt die, die resignieren. Und vor allem gibt es die große Gruppe derjenigen, die einfach so weiter machen wie zuvor. Dafür verzweifeln die wenigsten. Jeder klammert sich an das letzte Fünkchen Hoffnung, selbst die Resignierten.
Die Beschreibungen der Eingesperrten wirken realistisch, was durch die nüchterne Art des „Berichts“ noch verstärkt wird.
Der Ausbruch der Seuche ist eigentlich ja absurd. Zumindest glaubt man das. Aber da die Geschichte so realistisch erzählt ist und die Bewohner Orans auch sofort die Beispiele der verschiedensten Pestfälle aufzählen können, als wäre so etwas Allgemeinwissen, wirkt die eigentliche absurde Grundlage der Erzählung auf einmal normal.
„Die Pest“ ist nicht unbedingt spannend. Dafür ist es interessant, den Kampf Rieuxs und seiner Mitstreiter in einer Stadt, die wie belagert wirkt, mitzuerleben. Denn den größten Teil seiner Arbeit bezeichnet Rieux als Kampf: Als Kampf für Leben.
Und das ist wohl auch eine der (wohl vielen) Aussagen des Buches: Trotz allem ist es nie vergebens, Leben zu verteidigen, indem man versucht zu heilen.